Zukunftsvisionen
Die Zukunftsvision des Chris Meledandri

Im Jahr 2011 hielt Illumination Entertainment-CEO Chris Meledandri auf dem IBM Think Forum in New York City einen Vortrag zum Thema "The Future of Leadership". Darin sprach er über die globalisierte Ausrichtung seiner Firma und


Chris Meledandri auf dem IBM Think Forum
davon, Trickfilmfiguren zu schaffen, die kulturell ungebunden ("culturally ignostic", 4:28 Min.) sein sollen, um ein globales Publikum anzusprechen. Während er darüber spricht, werden auf einer Leinwand hinter ihm die Minion-Figuren gezeigt.

Zum Schluss seines 10-minütigen Vortrags zeigt er einen Ausschnitt aus dem Minion-Film "Despicable Me" (2010, dt. Ich − Einfach unverbesserlich), dem ersten Illumination Entertainment-Produkt.

Darin ist zu sehen, wie Bösewicht Gru seine Minions versammelt und dann eine Rede hält, in der er ankündigt, mithilfe eines Schrumpfungsstrahlers den Mond zu schrumpfen, um ihn zu stehlen.

Auf das Stichwort "steal" zücken einige der Minions ihre Waffen. Wenig später feuert einer von ihnen eine Rakete ab, die knapp hinter Gru einschlägt und mehrere Minions verletzt.


Minions-Filmausschnitt am Ende des Meledandri-Vortrags, 10:49 Min. Quelle: YouTube-Kanal "IBM Social Media"

Diese Sequenz des von Meledandri gezeigten Filmausschnitts lohnt eine genauere Betrachtung:
Auf das Stichwort "steal" (ein Homophon zu "steel" − Stahl) zückt ein einäugiges Minion am rechten Bildrand in schneller Bewegung zwei Fleischer-Hackebeile, die aufgrund der Unschärfe zunächst als Krummsäbel erscheinen.


Einäugiges Minion zückt zwei Beile. 10:47a Min.

Beil der linken Hand durch rechten Bildrand verborgen. 10:47b Min.

Während der Zückbewegung wandert das Minion optisch nach rechts, sodass der Gegenstand in der linken Hand außerhalb des Bildausschnitts liegt, als die Bewegung endet. Dennoch kann der Zuschauer durch die vorangegangene symetrische Bewegung zweier gleichartig aussehender unscharfer Gegenstände erschließen, dass sich auch in der linken Hand des Minions ein Hackebeil befindet.

Etwa im selben Moment präsentieren, von bedrohlichen Klängen untermalt, auch andere Minions ihre Waffen. Sie vermitteln das Bild einer kampfbereiten Armee mit überwiegend altertümlicher (Schwert, Sense, Hellebarde, Keule), aber auch moderner Ausrüstung (Rakete mit Abschussvorrichtung, Küchenmixer). Das Bildzentrum nimmt die geschulterte Rakete mit auffälliger roter Spitze vor grünem Hintergrund ein.

Dem Leser des zweiten Teils meiner Analyse des Illumination Entertainment-Films Pets ist bereits bekannt, dass die Kombination der Farben grün und rot für die muslimische Welt stehen kann. Allerdings findet sich hier keine kontrastierende Weiß-blau-Kombination, die den Feind Israel markieren könnte. Dafür lassen sich die Bildelemente der Sequenz zu einem Nationalsymbol kombinieren, das auf ein Land verweist, welches in der westlichen Berichterstattung zum Zeitpunkt der Filmentstehung (2009/2010) und des Meledandri-Vortrags (2011) vor allem durch eines in die Schlagzeilen geriet: seine angestrebte nukleare Bewaffnung.



Flagge des Iran mit nationalem Emblem im Zentrum. Quelle: Wikipedia

Die Flagge des Iran trägt seit 1980 − infolge der islamischen Revolution − als nationales Emblem ein Schwert mit vier Mondsicheln im Zentrum (vgl. Wikipedia, "Hoheitszeichen des Iran"). Die zwei inneren Mondsicheln des Emblems sind deutlich länger als die beiden äußeren.

Im Arsenal der Minions (s. Abb. o.) finden wir ebenfalls ein Schwert sowie zwei Waffen mit größeren sichelförmigen Schneiden (Sense und Hellebarde) und zwei Waffen mit kleineren gebogenen Schneiden (die beiden Hackebeile). Der große Bildschirm im Hintergrund, der wie die Flagge des Iran ein ein querformatiges Rechteck bildet, färbt sich nach dem Zücken der Waffen grün. Die rote Spitze der Rakete taucht kurz ins rote Feld ein, sodass für einen Moment die Farben grün und rot im Rechteck versammelt sind. Die nächste Einstellung zeigt wieder Gru auf der Bühne, die jetzt in diffuses grünes und rotes Licht getaucht ist. Gru ermahnt die Minions zur Geduld ("Wait, WAIT!"), dennoch wird die Rakete abgeschossen und fliegt in wellenförmiger Bahn über Grus Kopf hinweg.

Die Flugbahn der Rakete ähnelt etwas dem Umriss einer schematischen Darstellung eines Atoms, wie sie auf Fotos des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad im Hintergrund zu sehen ist. Die Fotostrecke, die Ahmadinedschad vor einem Hintergrund mit der iranischen Flagge und einer Atom-Darstellung zeigt, wurde am 9. April 2007 von Abedin Taherkenareh am iranischen "National Nuclear Day 2007" aufgenommen und über die Presseagenturen EPA und DPA weltweit verbreitet (vgl. Nytimes.com , Alamy.com).


Bösewicht Gru und abgefeuerte Rakete. Minions-Filmausschnitt am Ende des Meledandri-Vortrags,
10:54 Min.
 
Irans Präident Ahmadinedschad auf dem National Nuclear Day 2007. Quelle: Stern.de, 2010
Foto: Abedin Taherkenareh

Bilder aus dieser Fotostrecke wurden seitdem in vielen Printmedien und auf vielen Internetseiten veröffentlicht.

Die Botschaft des von Meledandri gezeigten Filmausschnitts lautet also:
Der Iran würde sich durch die Entwicklung einer Atomrakete nur selbst schaden, da diese durch die Ungeschicklichkeit des Bedienungspersonals, das keine Erfahrung mit modernen Waffen hat, eh auf dem eigenen Territorium niedergehen und die eigene Bevölkerung treffen würde.

Weniger gelassen und optimistisch wird die Situation von Israels Regierung und den israelischen Medien bewertet. Dort wird die fortschreitende Produktion waffenfähigen Nuklearmaterials in muslimischen Ländern schon seit Anfang der 80er Jahre mit der Gefahr eines "zweiten Holocaust" in Beziehung gesetzt. Daher bombardierten israelische Kampfbomber im Juni 1981 den irakischen Atomreaktor Osirak und im September 2006 eine Anlage in Syrien, in der angeblich Plutonium hergestellt wurde (vgl. Faz.net: "Israel − Kein zweiter Holocaust").

Als Stimmen aus israelischer Perspektive seien beispielhaft genannt:
- Manfred Gerstenfeld, Mitglied des Aufsichtsrats des Jerusalem Center of Public Affairs, hält eine iranische Atombombe für eine potenzielle Quelle eines zweiten Holocaust: Ist ein zweiter Holocaust möglich?, 2014
-Alvin H. Rosenfeld spekuliert im Epilog seines Buches "Das Ende des Holocaust" (2011, dt. 2015) detailliert über einen möglichen zweiten Holocaust − diesmal in Israel − und bezeichnet Irans Staatspräsident "als den führenden Verfechter des nächsten Holocaust" (S. 247).
-Benny Morris: Der zweite Holocaust in Die Welt, 6.1.2007. Benny Morris schreibt, dass "die iranische Führung die Zerstörung Israels als göttlichen Befehl und als Vorzeichen der Wiederkehr des verborgenen Imam[s]" ansehe, und spricht von einer "kosmischen Endabrechnung".

Nicht nur für den strenggläubigen Juden bedeutet also ein zweiter Holocaust, die Zerstörung Israels, den Beginn einer apokalyptischen Endzeit, die durch einen sich ausweitenden Krieg im Nahen Osten eingeleitet würde.



Die Wurstfabrik-Episode und der zweite Holocaust
Im dritten Teil meiner Pets-Analyse hatte ich dargestellt, dass die Wurstfabrik-Episode von Anspielungen auf Nazi-Herrschaft und Vernichtungslager durchzogen ist. Dort war die Frage aufgetaucht, warum Max, der die (israelischen) Juden repräsentiert, in der Episode eine ähnliche Rolle wie Duke einnimmt, der doch für die (arabischen) Muslime steht (vgl. zweiten Teil meiner Analyse).

Die christliche Vorstellung einer katastrophischen Endzeit rührt seit dem Mittelalter vor Allem von den Beschreibungen in der biblischen Offenbarung des Johannes her. Zu den in der christlichen Kunst häufig dargestellten Elementen der Apokalypse gehören unter Anderem:

- sieben Engel, die Posaune blasen
- Tote, die aus ihren Gräbern steigen


  Sieben Engel mit Posaunen. Luther-Bibel 1545, Die Offenbarung des Johannes. Größere Darstellung.
Quelle: Zeno.org

Tarot-Karte "Judgement" (Gericht).
Quelle: astrolymp.de



Betrachten wir erneut die Wurstfabrik-Episode.
Die Einstellung, die Max und Duke im Fleischverarbeitungsraum zeigt:


Fleischverarbeitung in der Wurstfabrik. Quelle: thesecretlifeofpets.wikia.com

Die vier riesigen Einfülltrichter der Fleischverarbeitungsmaschinen dominieren das Bild. Sie ähneln in ihrer Form den Schalltrichtern (sog. Schallbechern) von Posaunen. Unterhalb dieser Trichter sind kleinere Ausgabetrichter angebracht, von denen zunächst nur drei im Bild sind. Sie fallen aufgrund ihrer Größe zunächst nicht ins Auge. Fleischstücke an Greifvorrichtungen werden aus dunklen, rechteckigen Öffnungen in den Raum transportiert.

Die Fleischverarbeitungs-Szene ist mit Orchestermusik unterlegt, in der Blechblasinstrumente dominieren.

Die Trichter repräsentieren die apokalyptischen Posaunen. Die dunklen rechteckigen Wandöffnungen stehen für die Gräber, denen Auferstandende ('Fleischstücke') entsteigen. Die Fleischstücke stehen allerdings nicht für die 144.000 Gerechten, die beim Jüngsten Gericht in den Himmel steigen (vgl.), sondern für die Sünder, die nun im Feuer brennen (Kochen der Fleischstücke im nächsten Raum der Wurstfabrik). In seiner ursprünglichen Bedeutung meint "Holocaust" ein Brandopfer (vgl. Duden, "Holocaust").

Fazit
In der Wurstfabrik-Episode sind Elemente, die den historischen (ersten) Holocaust aufrufen, verwoben mit solchen, die der christlichen Ikonografie der Apokalypse-Darstellungen entlehnt sind. Auf diese Weise entsteht eine visionäre Imagination eines zweiten, endzeitlichen Holocaust.

Die Wurstfabrik-Episode hat für die Oberflächen-Handlung keine weitere Bedeutung, es erstaunt daher, wenn Pets-Regisseur Chris Renaud in einem Interview erklärt, dass der Charakter dieses Gedankensprunges (gemeint ist die Traumsequenz) für den restlichen Film prägend gewesen sei: "the nature of the non sequitur was a formative one for the rest of the film" (vgl. Mark Snetiker: "Secret Life of Pets director breaks down that insane Grease scene ").

Auch gibt es im Film keine weiteren Sequenzen, die wie ein Traum oder eine Vision anmuten. Allerdings existiert eine Sequenz, die unterschwellig von apokalyptischer Zerstörung handelt. Es ist die im ersten Teil meiner Arbeit analysierte "Trashing the Appartment"-Szene. Im nächsten Kapitel werde ich diese Szene erneut betrachten.

...

[Wird fortgesetzt.]


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